31. Kammer für Handelssachen des Stuttgart Commercial Court schlichtet Streit eines Zulieferers der Automobilindustrie mit einem Lieferanten im Eilverfahren

Vor kurzem gelang es der 31. Kammer für Handelssachen erneut, einen Konflikt im Bereich der Automobilzulieferindustrie durch Vergleich zu schlichten (31 O 84/22 KfH). Zu dem Konflikt zwischen den Parteien war es gekommen, weil die Preise für Strom, Erdgas und Erdöl sowie Rohstoffe und andere Materialien stark gestiegen waren, insbesondere als Folge des Kriegs in der Ukraine. 

Die 31. Kammer für Handelssachen des Stuttgart Commercial Court ist auf Streitigkeiten über beiderseitige Handelsgeschäfte mit einem Streitwert ab 2 Mio. EUR (bei Eingang der Klage) spezialisiert und hat, wie bereits berichtet (vgl. Eintrag vom 17.05.2022), in diesem Bereich viel Erfahrung.

Sachverhalt

Die drei Antragstellerinnen, eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, eine demselben Konzern angehörende Gesellschaft mit Sitz in Italien und eine dritte mit Sitz in der Slowakei, gehören zu einem bekannten, international tätigen Automobilzulieferer, der in zahlreichen Ländern der Welt Produktionsbetriebe unterhält und u.a. deutsche Automobilhersteller beliefert. Die Antragsgegnerin beliefert die Antragstellerinnen mit Teilen, die diese wiederum in ihrer Produktion benötigen. In einem „Nomination Agreement“ (in englischer Sprache verfasst) von 2020 verpflichtete sich die Antragsgegnerin, näher spezifizierte Teile bis zu ebenfalls vereinbarten jährlichen Höchstmengen entsprechend der Abrufe der Antragstellerinnen zu liefern. Derartige Verträge sind gängige Praxis in der Automobilindustrie. Die Vertragsparteien haben bis 2028 Festpreise für bestimmte Lieferzeiträume vereinbart, bei den meisten Teilen tendenziell sogar mit sinkender Tendenz. Preisanpassungen aus welchen Gründen auch immer waren ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Ausnahme galt für „die jährliche Stahlpreisdiskussion“; über Preisanpassungen wegen gestiegener Stahlpreise sollte also jährlich verhandelt werden.

Auch im Frühjahr 2022 führten die Vertragsparteien anlässlich gestiegener Stahlpreise die jährlichen Preisverhandlungen. Während diese Verhandlungen noch liefen, forderte die Antragsgegnerin im April 2022 weitere preisliche Zugeständnisse unter Berufung auf gestiegene Energiekosten und gestiegene Kosten von Sublieferanten. Sie werde den Einkauf von Rohmaterial und Komponenten stoppen, wenn die Antragstellerinnen die konkret erhobenen Mehrforderungen (Kompensation von 80% der gestiegenen Energie- und Lieferantenkosten) nicht bis zu einem bestimmten Termin akzeptiere. Es sei abhängig von den jeweiligen Teilen (nur) noch ausreichend Lagerkapazität für zwei Wochen bzw. bis Juli 2022 vorhanden. Allerdings müsse spätestens in zwei Wochen eine Lösung gefunden werden, damit die Lieferketten nicht abreißen. Wenn diese Lösung nicht innerhalb des genannten Zeitraums gefunden werde und man die Anschlussbestellungen nicht wieder aufnehme, würden Lieferketten abreißen und man könne die Bedarfe in einigen Wochen nicht mehr termingerecht liefern. Bei den Antragstellerinnen entstand der Eindruck, dass die zur Abwendung eines Lieferstopps erforderlichen Materialbestellungen auf Seiten der Antragsgegnerin bereits eingestellt worden waren, um den Druck in den aktuellen Preisverhandlungen zu erhöhen. Die Antragstellerinnen sahen darin einen Vertragsbruch und befürchteten aufgrund der Äußerungen der Antragsgegnerin, dass es dadurch bei ihnen zu Produktionsausfällen und damit zu einer für die Antragstellerinnen existenzbedrohenden Situation kommen würde. Sie befürchteten insbesondere eine Inanspruchnahme durch Automobilhersteller in Millionenhöhe, wenn es dort infolge etwaiger von der Antragsgegnerin verursachter Produktionsausfälle zum Stillstand der Bänder komme. Ende April 2022 wandten sich die Antragstellerinnen an das Landgericht Stuttgart und beantragten den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch die die Antragsgegnerin vorläufig zur Fortsetzung der Belieferung angehalten werden sollte.

Verfahrensgang

Die 31. Kammer für Handelssachen erließ Ende April 2022 wegen der glaubhaft gemachten existenzgefährdenden Risiken zunächst zur Abwendung schwerwiegender Nachteile die begehrte einstweilige Verfügung im Beschlusswege. Als Mitte Mai 2022 hiergegen Widerspruch eingelegt wurde, stimmte der Vorsitzende mit den Prozessbevollmächtigten einen Termin zur mündlichen Verhandlung ab und übersandte einen Tag nach Eingang des Widerspruchs eine Verfügung mit Hinweisen sowie ökonomischen und praktischen Ansätzen für die Suche nach Kompromissen. Im Termin, der im Juni 2022 stattfand, konnten sich die Parteien bereits auf Eckpunkte der geplanten Einigung verständigen, die sie außergerichtlich weiter konkretisieren wollten. Der vorsorglich für Juli 2022 anberaumte Verkündungstermin wurde auf übereinstimmenden Antrag beider Parteien wegen schwebender Vergleichsverhandlungen verlegt und konnte schließlich aufgehoben werden. Anfang Juli 2022 konnte der abgestimmte Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO protokolliert werden, der Stückpreisanpassungen, eine Sonderregelung wegen zusätzlicher Stahlpreiserhöhungen im zweiten Halbjahr 2022 und sogar die Perspektive auf eine Ausweitung der Lieferbeziehung auf weitere nicht streitgegenständliche Aufträge enthielt. Von dem im Vergleich vorgesehenen Widerrufsrecht bis 31. Juli 2022 machte keine Partei Gebrauch.

Das Verfahren konnte somit Anfang August 2022, weniger als vier Monate nach Verfahrenseinleitung, endgültig abgeschlossen werden. Der Streitwert wurde entsprechend der Angaben der Antragstellerinnen auf 2 Mio. EUR festgesetzt.