BERICHT AUS DER ANWALTSCHAFT ZUR PRAXIS DES COMMERCIAL COURTS:

STREITIGKEIT AUS EINEM UNTERNEHMENSKAUFVERTRAG VOR DER 49. ZIVIL-KAMMER

 

Hintergrund des Rechtsstreits

  • Hintergrund des Rechtsstreits war ein Unternehmenskauf aus dem Jahr 2019, in dessen Rahmen eine chinesische Gesellschaft von einer Schweizer Holding die Mehrheit an einem international tätigen portugiesischen Unternehmen erworben hatte. Der Kaufvertrag enthielt einen Katalog typischer Verkäufergarantien. Neben der Verkäuferin sollte eine natürliche Person als Garant für die Verpflichtungen der Verkäuferin haften. Der englischsprachige Vertrag unterlag deutschem Recht und enthielt eine Gerichtsstandsklausel zu Gunsten des Landgerichts Stuttgart.
  • Nach Vollzug des Vertrags stellte die Käuferin fest, dass sich die (finanziellen) Verhältnisse bei dem erworbenen Unternehmen und dessen Tochtergesellschaften wesentlich schlechter darstellten als von der Verkäuferin kommuniziert. Die Käuferin erhob daher im Januar 2021 Klage gegen die Verkäuferin und den Garanten auf Schadensersatz wegen verschiedener Garantieverletzungen in zweistelliger Millionenhöhe zum Landgericht Stuttgart (zur Zivilkammer aufgrund der Person des Garanten). Im Laufe des Rechtsstreits erweiterte die Käuferin die Klage auf Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung.

Gang des Verfahrens

  • Der Rechtsstreit wurde der 49. Zivilkammer des Landgerichts, die dem jüngst eingerichteten Commercial Court zugehört, zugewiesen.
  • Die Unterschiede zur gewöhnlichen Verfahrensführung einer Zivilkammer wurden schnell deutlich: So fand zunächst im Sommer 2021 per Video eine aus Schiedsverfahren bekannte aber in Zivilprozessen eher ungewöhnliche „Case Management Conference“ mit den Mitgliedern der Kammer und den Prozessbevollmächtigten der Parteien statt. Gegenstand der Konferenz war zum einen die gemeinsame zeitliche Strukturierung des Verfahrens (Festlegung von Fristen für die Einreichung der weiteren Schriftsätze und Abstimmung eines ersten Termins für die mündliche Verhandlung, wobei das Gericht auch anbot, erforderlichenfalls mehre Tage hintereinander verhandeln zu können). Zum anderen erteilte das Gericht umfangreiche inhaltlich Hinweise, zu denen es weiteren Vortrag der Parteien erbat. Hierdurch konnte das Verfahren in hilfreicher Weise bereits zu einem frühen Zeitpunkt auch inhaltlich strukturiert und auf bestimmte Themen konzentriert werden.
  • Mitte Dezember 2021 fand die mündliche Verhandlung in den hervorragend ausgestatteten Räumlichkeiten des Commercial Courts in der Nähe des Flughafens Stuttgart statt. Den Parteien stehen dort jeweils sog. „Break-out Rooms“ (mit funktionierendem W-Lan!) zur Verfügung, in denen sie sich in Verhandlungsunterbrechungen zur Besprechung zurückziehen können. Da der in China wohnhafte Geschäftsführer der Käuferin aufgrund der seinerzeitigen Corona-Beschränkungen nicht nach Deutschland reisen konnte, gestattete das Gericht seine Zuschaltung zur Verhandlung mittels Videokonferenztechnik. Nachdem das Gericht bereits im Vorfeld angeboten hatte, die gesamte Verhandlung auf Englisch zu führen, fanden jedenfalls die Vergleichsgespräche in englischer Sprache statt. Nach intensiven und mehrstündigen Verhandlungen, die ganz maßgeblich durch das fundiert vorbereitete Gericht geleitet wurden, konnten die Parteien einen umfassenden Vergleich schließen.

Resümee

Natürlich ist für den Mandanten primär das Ergebnis eines Rechtsstreits von Relevanz (d.h. Gewinnen oder Verlieren). Allerdings ist der Weg zum Ergebnis ganz entscheidend für dessen Akzeptanz durch die Prozessbeteiligten. Für mich ist insoweit insbesondere die Expertise des Gerichts sowie eine effiziente Verhandlungsführung ausschlaggebend. In großen Wirtschaftsstreitigkeiten wird die Kompetenz hierzu gewöhnlich eher bei Schiedsgerichten als bei staatlichen Zivilgerichten verortet. Ob dies pauschal zutrifft, ist sicherlich fraglich, zumal es meines Erachtens keine vom jeweiligen Einzelfall unabhängig richtige Entscheidung für ein Schiedsverfahren oder für ein Zivilverfahren geben kann. Die 49. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart hat sich mit der Verfahrensführung im vorskizzierten Rechtsstreit jedenfalls in beiderlei Hinsicht fraglos behauptet, weshalb ich in Zukunft bei der Vertragsgestaltung (in geeigneten Fällen) durchaus über eine Gerichtsstandsvereinbarung für das Landgericht Stuttgart nachdenken werde.